Das Leben der Anniviarden und ihrer Tiere verläuft im
Rhythmus des Graswuchses. Das Maiensäss ist für den Aufenthalt zwischen
Dorf und Alp bestimmt ; die Herde grast hier auf den Weiden, bevor sie
sich im Juni auf die Alp begibt, dann wieder beim Runterkommen im
September. Während ein paar Wochen ist das Maiensäss
bewohnt. Die Natur ist unbeschreiblich grosszügig und durch die
Tierpräsenz wird das Gedeihen von Pflanzen mit Oxalsäure-Gehalt wie Brennessel, wilder Spinat, Löwenzahn oder « lâpés », im einheimischen Dialekt der Name für Ampfer (Mönchsrhabarber) gefördert.
« Den Ampfer wird « lâpés » genannt oder grosse
Ohren. Die Stängel haben eine rötliche Farbe. Bei unserem Maiensäss gab
es keinen Obst- und Gemüsegarten ; aus diesem Grund stellte unsere
Mutter aus den Stängeln Konfitüre her. Auch als Erwachsener sagte unser
Bruder regelmässig: immer noch habe ich Lust auf diese Konfitüre ! Mama
stellte diese jedoch nur während unseres Aufenthaltes im Maiensäss her.
Zusammen mit der frischen Butter liebten wir diese Konfitüre ! » Cécile und Hélène L., Sierre.
Neben dem Ampfer gibt es eine andere Pflanze, die
sich gut für die Küche eignet : der wilde Spinat. Er ist gut an seinen
Blättern in Form von Gänsefüssen zu erkennen, welche sich beim
Darüberstreichen mehlig anfühlen.
Abendessen im Maiensäss :
Wilder Spinat, Kartoffeln, Zwiebeln Käse, Milch, Mehl. Den wilden Spinat
in Stücke schneiden. In wenig Öl zusammen mit gehackten Zwiebeln
andünsten. Gekochte, in kleine Würfel geschnittene Kartoffeln, Käse,
Milch und etwas Mehl beigeben. Würzen. Während 5 bis 10 Minuten köcheln
lassen, ab und zu umrühren. (Rezept Jeanne Z. in St-Jean).
Weit weg vom Dorf, ist die Apotheke in der Natur zu finden.
Das Maiensäss liegt auf idealer Meereshöhe für den Meisterwurz, das
Allheilmittel im Val d’Anniviers. Infizierte Hufe der Rinder konnten mit
seinen Blättern behandelt werden, der Rauch seiner getrockneten Wurzeln
erfüllte die Häuser und schützte ihre Bewohner vor Erkältungen und
Grippe. Im Volksmund Kaiserwurz,
von den Anniviarden « agro » genannt, können Ihnen diese viele
Geschichten über zahlreiche Wunderheilungen dank dieser Pflanze
erzählen.
Und für besonders Mutige : kneifen Sie ein junges Brennesselblatt in Haarrichtung ab, rollen es zwischen Ihren Fingern zu einer Kugel, immer in Richtung der Brennhaare, damit sie nicht stechen können. Wenn das Blatt gut zerquetscht ist, probieren Sie es, lediglich inspiriert von dieser Natur um das Maiensäss.
Achtung : Essen Sie nur Pflanzen, die Sie sicher kennen !
Text : Sabine Muster-Brüschweiler, Ethnobotanikerin