Das Dorf Ayer - Das frühere, das moderne, das traditionsbewusste
Eine ausführliche Besichtigung des jetzigen Dorfes Ayer
ist unerlässlich, um die Verbindung zwischen dem Dorf und seiner Umwelt
verstehen zu können. Die geographischen und architektonischen Ansichten
zeigen eine (beeindruckende) Mischung von drei Zeitabschnitten : das
alte aus der archaischen Zeit ; das moderne und seine verschiedenen
Mutationen ; seine neue Verantwortung gegenüber der Umwelt. Im
wunderschön erhaltenen alten Dorfzentrum ist eine erste Modernität
entlang der Hauptstrasse Richtung Zinal zu entdecken. Danach ist eine
neue « Galaxie » von kürzlichen Bauten zu erkunden, welche im Norden und
Osten gegen die Ebene ausgerichtet wurden und eine Herausforderung an
die steilen Hänge darstellen. Diese komplexen Vorgänge zeugen von einer
grundlegenden Widerstandskraft der Bergbewohner. In der Tat hätte das Dorf Ayer
beim grossen touristischen Umschwung in den Jahren um 1960 in eine
komplette Lethargie fallen können, um dann zu verkommen. Die Innovation
erfolgte in Zinal und zog höhergelegene Ansiedlungen mit sich. Aber Ayer
harrte aus, Einwohner und jüngere Generationen bezogen neue
Behausungen. Die Alp Nava wurde renoviert, eine neue Zuchtform
eingeführt und ein Gemeinschaftsstall errichtet. Zahlreiche Touristen
suchen sich Ayer heute wegen seiner Sonnenlage für ihren Urlaub aus und
manchmal auch als festen Wohnsitz. Durch den Entwicklungsverein und
dessen Dynamik entstand ein neues Sozialleben.
Um die Wichtigkeit des Waldes verstehen zu können, ist ein Blick in die Vergangenheit
notwendig. Ab dem 16. Jahrhundert nahm der Ort Ayer eine erstrangige
Bedeutung für das Eifischtal zusammen mit Grimentz, St. Luc und dann St.
Jean ein. Im alten System der « Nachbarschaften » gehörten Ayer und
Mission zusammen und bildeten die Führungskraft. Im Rahmen dieser «
Nachbarschaft » besass jedes Dorf seine “Gemeinschaft”. Die von Ayer
bildete die Koexistenz zwischen Harmonie und manchmal Konflikten,
Miteigentum und Privateigentum. Die “Gemeinschaft” gewährleistete den
Dorfbetrieb, war zuständig für die Beibehaltung der verschiedenen
Bauarten von Häusern und Gebäuden für Mensch und Tier. Durch ein
umfangreiches System der Strassen und der Suonen (Bewässerungskanal)
wurden die umliegenden Wiesen, Felder und Wege zur gemeinsamen Nutzung
definiert.
Mit seinen drei Hauptfunktionen spielt der Wald eine wichtige Rolle : als Lawinenschutz, als Brennholzlieferant und als Grundmaterial für die Bauwirtschaft. In einer gut definierten Gesellschaft liefert der Wald weitere Elemente im Zyklus Mensch-Land-Tier zum nicht immer einfachen Gleichgewicht zwischen Erhaltung und Verbrauch. Eine detaillierte Waldanalyse muss folgende wichtige Punkte berücksichtigen :
- die Erhaltung der verschiedenen Arten
- die Nutzung des Waldes
- die Verbindung zwischen Wald und Tier
- die « Geschenke » an den Menschen
- die Streuversorgung
Der Orkan « Viviane », im Jahr 1990, war für die Schweiz und seine Alpen eine Naturkatastrophe von grossem Ausmasse. 590'000 m3 Holz wurden im Wallis umgeknickt. Der Kanton empfahl, Mittel für eine langfristige Prävention einzusetzen. In Ayer wurde das Projet Zau Zoura ins Leben gerufen. Eine meisterhafte Innovation. In den Alpen entstand bei den einheimischen Bewohnern ein neues Umweltbewusstsein. Es kam zu einer mentalen Revolution : von der Muttererde und produktivem Land zur Entdeckung der Natur und der Umwelt. Man stellte fest, dass es nicht genügte, nur zu produzieren, zu verbrauchen und zu vernichten, sondern man auch bewahren, erhalten und eine Erneuerung möglich machen musste. Das Paradoxe ist, dass diese hochmoderne Mutation in gewisser Weise eine Rückkehr zur genialen alten Berggemeinschaft darstellt. Nobel Wirtschaftspreisträger begaben sich ins Wallis, um diese einfachen Formen zu studieren und um auf mögliche Verbesserungen hinzuweisen. Der bescheidene Verfasser dieser Zeilen wagt zu schreiben : « Im traditionellen Bergleben haben wir tausend Jahre Ökologie hinter uns ! ».
Text : Bernard Crettaz, Soziologe